Montag, 12. November 2012
Turkestan - vergessene Tage
So nannte Annemarie Schwarzenbach einen ihrer Texte, den sie während ihrer Afghanistan-Reise 1939 verfasste.



Wir fahren durch Turkestan, vorbei an Tashkurgan bis nach Samangan. Von Tashkurgan, das Frau Schwarzenbach so besonders beschrieb ("Denn Tash Kurgan … hat doch einen reichen, viel besuchten Bazar, - manchmal stauen sich die Kamele in seinen Gassen, von Karawanen, die von weither gekommen sind… Turkmenen, und Tadsiken, Afghanen, Usbeken, ein gemischtes Volk von Händlern, Bauern und Nomaden treibt sich umher, die Samoware rauchen, es gibt Lautenspieler, Sänger.") ist nicht mehr viel übrig. Jahrzehnten von Krieg und Auszehrung haben die Gegend verarmen lassen, Tashkurgans altes Zentrum liegt in Trümmern. Viel Verkehr ist hier noch immer, denn die Fernverkehrsroute von Kabul in Richtung Uzbekistan führt direkt durch den Ort.



In Samangan laden uns die Handwerker ein zum Tee und berichten über ihren Alltag: Arbeitslosigkeit, Armut, niedrige Preise für Pistazien und Rosinen und kein Geld, in Bildung und die Jugend zu investieren. Im afghanischen Vergleich ist Samangan eine der besseren Provinzen: sie ist sicher, hat landwirtschaftliches Potenzial und liegt nah zu den Nachbarländern. Es gibt also nicht ein, sondern viele Afghanistans.

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Mittwoch, 13. Oktober 2010
Tradition und Moderne in Kabul
Ich lebe hier in Kabul unter der Käseglocke, das ist ganz klar. Zwischen Hotel und jeweiligem Büro oder Besprechnungsraum sitze ich nur im Auto. Insofern dürste ich danach, wenigstens durch das Zentrum zu fahren, um ein wenig zu sehen, wie es "in Afghanistan" eigentlich zugeht. Überraschend dabei: die Kleidung. Auch wenn der von mir in Vorbeifahren fotografierte Herr so aussieht, wie ich mir Afghanen vor dem Flug hierher vorstellte:



so sehen beileibe nicht alle Afghanen aus. Ich trage täglich Anzug und bin damit nicht allein. Gepflegte Kleidung steht hoch im Kurs. Afghanen im Geschäftsleben tragen nicht nur gern Anzüge. Mehr noch: die Anzugstoffe sind nicht selten glänzend. Bei meiner ersten Fahrt hinein nach Kabul fiel mir ein junger Afghane in adrett glänzendem Anzug auf. Dieser Anblick beruhigte mich, da ich mir dachte: wo man solche Anzüge trägt, kann der Fundamentalismus nicht omnipräsent sein. Auch die Bärte, von mir eigentlich immer mit Afghanen gleichgesetzt, sind weniger verbreitet als ich dachte. Junge Männer tragen meist nicht mal den in arabischen Ländern unverzichtbaren Schnauzer. Kurz gestutzte Bärte bei älteren Herren sind häufig. Und: Afghanistan ist ein wirkliches Völkergemisch. Viele Afghanen würden wegen dunkelblonder Haare und heller Haut auch in Dänemark nicht auffallen. So könnte ich, meint mein afghanischer Kollege Mahrami, hier durchaus als Afghane durchgehen.

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Dienstag, 12. Oktober 2010
Handwerkervollversammlung
Heute war es soweit: die Gildenmeister kommen! Wenn die Nationale Afghanische Handwerkervereinigung (auf Dari: Itihad-e Milliy-e Peshawaran Afghanistan) eine Strategie bekommt, sollen doch die Mitglieder sagen, was sie eigentlich von "ihrer" Vereinigung erwarten. Wir hatten die Versammlung für 9:30 Uhr angesetzt. Mir sagte man, vor 10:00 Uhr brauchte ich nicht zu beginnnen, es wäre sowieso kaum jemand da. Von wegen! Wir konnten sogar früher beginnen, weil alle auf mich warteten. Ich saß im Büro und tippte seelenruhig am Computer.



In der Vorstellungsrunde stellten sich nicht die Gildenvorsitzenden selbst vor. Nein, das erledigte der Präsident der Handwerkervereinigung, ein Mann übrigens, der dieses Amt seit 1987 (seit Gründung der Vereinigung während der sowjetischen Okkupation) innehat. Übrigens ist auch die Vereinigung ganz sowjetisch organisiert: alle drei Jahre trifft sich der Handwerker(partei)tag, der das Zentralkommittee wählt, welches wiederum das Politbüro und den Generalsekretät (=Präsident) ernennt. Soweit die Theorie. Nachdem der Hintergrund der Mission erklärt war, kam es gleich zur Sache. Lautstark wurde mitgeteilt, dass man sich ungemein freue, dass die Deutschen schon immer Freunde Afghanistans gewesen wären, dass man bereit wäre für einen Neuanfang, dass das Leben als Kleinhändler und Handwerker sehr schwierig sei. Sonderlich konfrontativ - so wie ich eigentlich erwartet hatte - war die Veranstaltung nicht.

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Montag, 11. Oktober 2010
Geldwechseln
Mit der Zeit gewöhnt man sich an die allgegenwärtige Polizei, schwerbewaffnete Soldaten an Kontrollpunkten und mit Schießgewehren ausgerüstete Wächter vor Einkaufszentren. Da mutet es fast surreal an, welchen Sicherheitsgrad professionelle Geldwechsler bevorzugen: sie sitzen einfach auf der Straße. Große Geldbündel auf einem Tischchen vor sich liegen, können sie problemlos mehrere Hundert Dollar wechseln. Ich teste nicht die mögliche Maximalhöhe aus, aber angesichts dessen, was ich über Kabul als 'Gangsterstadt' [http://www.ursulameissner.de/reportage/Meissner_RheinMainPresse2009.pdf] las, ist das für mich überraschend. 1 Euro sind rund gut 60 Afghanis.



Die Moschee auf dem 50-Afghani-Schein ist die bekannteste Moschee von Kabul, die Shah-e Doh Shamshira Moschee, gebaut in den frühen 30ern, als Kabul einen Modernisierungsschub erlebte. Den sieht man dem Viertel um die Moschee auch heute noch an, und so überrascht es nicht, dass hinter der Moschee am Kabul-Fluß zahlreiche Menschen flanieren. Hier wirkt Kabul friedlich, freundlich, ganz normal.

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Donnerstag, 7. Oktober 2010
Ankommen in Afghanistan
"Welcome to Afghanistan!" - so begrüßte uns der Kapitän der ziemlich vollbesetzten Safi Air-Maschine am 5 Uhr Ortszeit. Draußen leuchtete das Land im schönsten Morgenrot, und auf der linken Flugzeugseite sollte gleich Kabul auftauchen. Kaum jemand der Passagiere schaute aus dem Fenster. Überhaupt, die Passagiere: zahlreiche deutsche Polizisten in Uniform, einige afghanische Familien, viele Europäer, die irgendwas in Afghanistan zu tun haben. Alle wirken sehr, sehr abgeklärt, als wäre es das normalste von der Welt, nach Kabul zu fliegen. Als das Flugzeug schließlich gelandet ist, ist die Morgenröte verschwunden. Das Sonnenlicht ist klar, weiß, und stechend. Relativ geräuschlos verläuft die Passkontrolle, ebenso unspektakulär die Gepäckausgabe. Das soll Afghanistan sein? Nein, ist es nicht, denn wir sind auf dem "Kabul International Airport", also einer Art Käseglocke, unter der sich die deutschen Polizisten bereits vollkommen selbverständlich ihre Waffen umhängen, Splitterschutzwesten anziehen und der ganzen zivilen Atmoshäre ihren Stempel aufdrücken. Deutsche Polizei bewacht das Flughafengebäude, um die Ankunft ihrer deutschen Kollegen abzusichern. Ich durchquere mit meinem Gepäck die neugebaute Flughafenhalle. Sie ist fast leer, bis auf eine dünne Schlange von Menschen, die wohl mit dem gleichen Flugzeug von hier wegfliegen. Ein riesiger Platz vor dem Flughafengebäude: leer. Mir ist mulmig beim Darübergehen, aber das muß ich, denn auf der anderen Seite sind die uns zugeteilten Parkplätze. Relativ leicht finde ich das GTZ-Auto. Als die Fahrt dann in die Stadt losgeht, sind die anderen Passagiere im Auto - alle Deutsche, für GTZ tätig - sehr schweigsam. Zu beeindruckend ist die waffenstarrende Realität während den ersten hundert Meter nach dem Flughafen. Nachdem das Flughafen-Gelände mit allen Kontrollen hinter uns liegt, sind die Straßen voller Menschen, die sich auf Fährrädern, zu Fuß, in Bussen, Taxis oder auf Motorrädern fortbewegen. Frauen tragen nur ganz selten Burka (wenn etwas über Afghanistan im Fernsehen kommt, dürfen die Burka-Frauen nie fehlen), sondern sind verhüllen sich ihr Haar mit einem hellen Tuch im Benazir Bhutto-Stil. Erst später in der Stadt sehe ich die erste Burka. Hier in Kabul ist sie die Ausnahme. Die Stadt wirkt sehr lebendig und, was mich beruhigt, sehr zivil. Ein äußerst schlanker Jüngling trägt einen körperbetonten Anzug mit Silbereffekt. Dieser Anblick beruhigt mich: wenn jemand so etwas tragen darf, kann es nicht so schlimm sein mit der Religionsaufsicht! Ungeregelter aber nicht hektischer Verkehr, viele Garküchen, unzählige kleine Läden und Straßenhändler, improvisierte Baustellen prägen dieses lebhafte Bild. Es wird viel gelacht, das kann man sehen. Allerdings ruft hier niemand "Welcome!", so wie man das vom Jemen kennt. Vielleicht liegt das an uns, den Ausländern, die wir unsere Furcht durch abgeklärtes, abweisendes Verhalten ausdrücken?



Ringsum Kabul: steinige, abweisende Bergketten, Staub in der Luft, kaum Vegetation. Das zeigt der Blick vom Hotelflur.

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