Mittwoch, 13. Oktober 2010
Tradition und Moderne in Kabul
Ich lebe hier in Kabul unter der Käseglocke, das ist ganz klar. Zwischen Hotel und jeweiligem Büro oder Besprechnungsraum sitze ich nur im Auto. Insofern dürste ich danach, wenigstens durch das Zentrum zu fahren, um ein wenig zu sehen, wie es "in Afghanistan" eigentlich zugeht. Überraschend dabei: die Kleidung. Auch wenn der von mir in Vorbeifahren fotografierte Herr so aussieht, wie ich mir Afghanen vor dem Flug hierher vorstellte:



so sehen beileibe nicht alle Afghanen aus. Ich trage täglich Anzug und bin damit nicht allein. Gepflegte Kleidung steht hoch im Kurs. Afghanen im Geschäftsleben tragen nicht nur gern Anzüge. Mehr noch: die Anzugstoffe sind nicht selten glänzend. Bei meiner ersten Fahrt hinein nach Kabul fiel mir ein junger Afghane in adrett glänzendem Anzug auf. Dieser Anblick beruhigte mich, da ich mir dachte: wo man solche Anzüge trägt, kann der Fundamentalismus nicht omnipräsent sein. Auch die Bärte, von mir eigentlich immer mit Afghanen gleichgesetzt, sind weniger verbreitet als ich dachte. Junge Männer tragen meist nicht mal den in arabischen Ländern unverzichtbaren Schnauzer. Kurz gestutzte Bärte bei älteren Herren sind häufig. Und: Afghanistan ist ein wirkliches Völkergemisch. Viele Afghanen würden wegen dunkelblonder Haare und heller Haut auch in Dänemark nicht auffallen. So könnte ich, meint mein afghanischer Kollege Mahrami, hier durchaus als Afghane durchgehen.

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Dienstag, 12. Oktober 2010
Handwerkervollversammlung
Heute war es soweit: die Gildenmeister kommen! Wenn die Nationale Afghanische Handwerkervereinigung (auf Dari: Itihad-e Milliy-e Peshawaran Afghanistan) eine Strategie bekommt, sollen doch die Mitglieder sagen, was sie eigentlich von "ihrer" Vereinigung erwarten. Wir hatten die Versammlung für 9:30 Uhr angesetzt. Mir sagte man, vor 10:00 Uhr brauchte ich nicht zu beginnnen, es wäre sowieso kaum jemand da. Von wegen! Wir konnten sogar früher beginnen, weil alle auf mich warteten. Ich saß im Büro und tippte seelenruhig am Computer.



In der Vorstellungsrunde stellten sich nicht die Gildenvorsitzenden selbst vor. Nein, das erledigte der Präsident der Handwerkervereinigung, ein Mann übrigens, der dieses Amt seit 1987 (seit Gründung der Vereinigung während der sowjetischen Okkupation) innehat. Übrigens ist auch die Vereinigung ganz sowjetisch organisiert: alle drei Jahre trifft sich der Handwerker(partei)tag, der das Zentralkommittee wählt, welches wiederum das Politbüro und den Generalsekretät (=Präsident) ernennt. Soweit die Theorie. Nachdem der Hintergrund der Mission erklärt war, kam es gleich zur Sache. Lautstark wurde mitgeteilt, dass man sich ungemein freue, dass die Deutschen schon immer Freunde Afghanistans gewesen wären, dass man bereit wäre für einen Neuanfang, dass das Leben als Kleinhändler und Handwerker sehr schwierig sei. Sonderlich konfrontativ - so wie ich eigentlich erwartet hatte - war die Veranstaltung nicht.

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Montag, 11. Oktober 2010
Geldwechseln
Mit der Zeit gewöhnt man sich an die allgegenwärtige Polizei, schwerbewaffnete Soldaten an Kontrollpunkten und mit Schießgewehren ausgerüstete Wächter vor Einkaufszentren. Da mutet es fast surreal an, welchen Sicherheitsgrad professionelle Geldwechsler bevorzugen: sie sitzen einfach auf der Straße. Große Geldbündel auf einem Tischchen vor sich liegen, können sie problemlos mehrere Hundert Dollar wechseln. Ich teste nicht die mögliche Maximalhöhe aus, aber angesichts dessen, was ich über Kabul als 'Gangsterstadt' [http://www.ursulameissner.de/reportage/Meissner_RheinMainPresse2009.pdf] las, ist das für mich überraschend. 1 Euro sind rund gut 60 Afghanis.



Die Moschee auf dem 50-Afghani-Schein ist die bekannteste Moschee von Kabul, die Shah-e Doh Shamshira Moschee, gebaut in den frühen 30ern, als Kabul einen Modernisierungsschub erlebte. Den sieht man dem Viertel um die Moschee auch heute noch an, und so überrascht es nicht, dass hinter der Moschee am Kabul-Fluß zahlreiche Menschen flanieren. Hier wirkt Kabul friedlich, freundlich, ganz normal.

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